Kapitel 20:
Der erfolgreiche, starke, attraktive,
potente Lover. Damit er nicht zu perfekt ist, hat er eine
problematische Kindheit bzw. Jugend gehabt. Oder vollendet ihn gerade
das, dass er sich eben „aus schwierigen Verhältnissen nach oben
gearbeitet“ hat? Ana hat ja das Bedürfnis, ihn für die normale
Liebe zu retten, für das, was sie als normale Liebe und normalen Sex
empfindet. Für ihn ist es ja eher nicht normal, denn er ist ja
inbezug auf sein Sexualleben ganz anders sozialisiert worden.
Insofern finden beide ihre Art normal, wobei er sich bewusst ist,
dass der Großteil seiner Umwelt das anders sehen. Aber so geht es
doch nicht nur S/M-Freunden, sondern auch Schwulen, Lesben,
Autoerotikern... Man könnte auch sagen, dass hier die Zuordnung des
Empfindens ganz konventionell stattfindet: Frauen wollen Liebe,
Männer wollen Sex. Bei Gott, wenn das so wäre, hätte ich weniger
Sorgen! Frauen wie Männer wollen Liebe, und sie wollen auch Sex. Und
sie wollen im Idealfall, dass beides zusammenfällt. Das ist auch das
Schönste, keine Frage. Muss aber nicht immer (weder für sie noch
für ihn).
Ist das hier eigentlich eine
„klassische“ BDSM-Geschichte? Oder eine Mischung aus Paloma-Roman
plus S/M-Komponente plus Pretty Woman, bei der Ana sich zwar eingangs
nicht prostituiert – da ist sie ja noch die Unschuld vom Lande –
aber doch Grey gegenüber immer wieder das Gefühl hat, gekauft zu
werden, mit Laptops, Autos, Telefonen...
Eine weitere Beobachtung: Ana scheint
ab ihrer ersten Begegnung mit Grey mehr oder weniger permanent erregt
– jedenfalls steht sie ihm in jeder Lebenslage zur Verfügung, und
etwaige Unbequemlichkeiten scheinen nie einem Mangel an Feuchtigkeit
geschuldet. Das hätte ich jetzt als typisches Merkmal eines von
einem Mann geschriebenen Erotikums gesehen: die stets verfügbare und
willige Frau. Boshafter formuliert: Das Sexobjekt.
Versuche ich gerade aktiv, die
Erzählung nicht zu mögen? So ähnlich wie Ana über den Pakt
sinniert geht es mir mit dem ganzen Buch: Ich gebe zu, ich bin
fasziniert, es ist in manchem eine neue Welt, die sich da zeigt –
und gleichzeitig spüre ich einen gewissen Widerwillen weiterzulesen.
Allerdings kann ich noch nicht ausmachen, woher dieser innere
Widerstand kommt; es ist jedenfalls nicht die Erschlaffung nach
angenehmer Erregung, die ja auch zu einem „genug erstmal“ führen
kann. Ist es der Gedanke, dass die Erzählung wie eine Droge sich im
Gehirn festsetzt und beginnt, mich selbst zu bestimmen? Immerhin ist
es erst das zweite Mal, dass ich ein Lesetagebuch begonnen habe. Oder
ist es …
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